Zürcher Handelskammer für das Vertragspaket mit der EU

Die Vernehmlassung zum Vertragspaket mit der EU ist am 31. Oktober zu Ende gegangen. Nach gründlicher Analyse der Vor- und Nachteile hat sich der Vorstand der Zürcher Handelskammer (ZHK) klar für die Weiterführung des bilateralen Wegs und die Erneuerung der Verträge ausgesprochen. Für die innenpolitische Umsetzung fordert die ZHK eine schlanke Umsetzung ohne «Swiss Finish» und ohne zusätzliche Lasten für Unternehmen.

Diese Beurteilung fusst auf fünf zentralen Argumenten:

1.    Die Schweiz ist ein Teil Europas – unserem mit Abstand wichtigsten Partner

Die Schweiz liegt inmitten von Europa und ist historisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch eng damit verbunden. Im Jahr 2024 wurden 60 Prozent des Warenhandels der Schweiz allein mit der EU getätigt. Der Handel mit der EU nimmt damit absolut noch immer stärker zu als mit den zweit- und drittwichtigsten Märkten USA und China zusammen. Illusorisch also, diesen Markt durch andere Märkte zu ersetzen. Mit dem Vertragspaket sichert sich die Schweiz den diskriminierungsfreien Marktzugang zum EU-Binnenmarkt mit ihren rund 450 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten langfristig ab.

2.    Ein Ja zum bilateralen Weg ist strategisch richtig

Der bilaterale Weg ist der mit Abstand beste Weg für die Schweiz. Seit Inkrafttreten der Bilateralen I im Jahr 2002 hat sich die Schweiz wirtschaftlich positiv entwickelt. Produktivität, Wohlstand und Freizeit haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Seit Unterzeichnung der Bilateralen I im Jahr 1999 ist das reale (inflationsbereinigte) BIP pro Kopf in der Schweiz um 27,8% gewachsen. Das ist doppelt so hoch wie in Deutschland und fast drei Mal so hoch wie in Frankreich. Zu diesem Erfolg haben die bilateralen Verträge einen zentralen Beitrag geleistet.

Will die Schweiz diesen erfolgreichen Weg weitergehen, ist aus Sicht der EU eine Aktualisierung der bisherigen Verträge erforderlich. Andernfalls würden sie zusehends an Wirkung verlieren. Davon wären auch die für die Schweiz wichtigen Verträge über die Personenfreizügigkeit und die Forschungszusammenarbeit tangiert. Das vorliegende Vertragspaket bietet für die Schweiz weiterhin und auf lange Sicht eine massgeschneiderte Lösung. Ein Ja ist strategisch die beste Option, zumal weder ein EU- noch ein EWR-Beitritt in Frage kommen.

3.    Vertragspaket bringt Stabilität und ein regelbasiertes Verhältnis zur EU

In jüngerer Zeit ist die internationale regelbasierte Ordnung stark unter Druck geraten. Interessengeleitetes Denken und Grossmachtpolitik sind wieder dominanter geworden. Für kleinere Länder wie die Schweiz ist das eine besondere Herausforderung.

Wir müssen anerkennen, dass prosperierende Unternehmen und unser hoher Wohlstand nicht selbstverständlich sind. Ihnen gilt es Sorge zu tragen. Nur mit attraktiven Rahmenbedingungen, einem breit diversifizierten Marktzugang sowie einer hohen Rechtssicherheit macht es für Firmen Sinn, weiterhin aus der Schweiz heraus zu exportieren. Für die Schweiz mit ihrem kleinen Heimmarkt ist die EU der eigentliche Binnenmarkt. Ein geregeltes Verhältnis zum mit Abstand wichtigsten Handelspartner ist somit zentral. Es garantiert Stabilität und Verlässlichkeit und stärkt unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.

4.    Ein Nein würde Unsicherheit und ungeahnte Kosten bedeuten

Mit einem Nein wäre das künftige Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU mit zahlreichen Ungewissheiten behaftet. Durch die schleichende Erosion der Abkommen zu technischen Handelshemmnissen kämen auf die Unternehmen Kosten in Milliardenhöhe zu. Das würde in erster Linie Schweizer KMU hart treffen: Von den rund 600'000 Schweizer KMU exportiert jedes 13. Das sind zirka 47'000 KMU, die auf den Zugang zum Binnenmarkt angewiesen sind. Diese machen 42 Prozent des Schweizer Exportvolumens aus. Von insgesamt 2,4 Millionen Vollzeitstellen bei KMU hängen also direkt fast eine Million von den Verträgen ab.

Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass die bisherigen bilateralen Verträge für die Schweiz keine ausreichende Rechtssicherheit bieten. Einseitige willkürliche Massnahmen bei den technischen Handelshemmnissen, der Börsenäquivalenz oder der Forschungszusammenarbeit zeugen von der Verwundbarkeit der Schweiz. Mit der Einführung eines Streitbeilegungsmechanismus würde das Vertragspaket der Schweiz mehr Rechtssicherheit bringen und sie vor der Willkür der EU besser schützen.

5.    Der institutionelle Preis der Verträge bleibt in einem beschränkten Rahmen

Was nicht verhehlt werden darf: Die Verträge haben ihren Preis. Verträge sind immer ein Geben und Nehmen. Wirtschaftliche Teilnahme ohne Gegenleistung gibt es nicht. So sieht das vorliegende Vertragspaket im Stabilisierungsteil erstmals institutionelle Elemente zur laufenden Aktualisierung der bislang statischen Binnenmarktabkommen vor. Im Zentrum steht hier die dynamische Rechtsübernahme.

Der Preis, den die Schweiz mit diesen institutionellen Elementen bezahlt, bleibt jedoch in einem beschränkten Rahmen. Sie akzeptiert die Regeln des EU-Binnenmarkts nur in klar definierten Grenzen. Betroffen sind lediglich 6 von rund 140 Verträgen oder gerade einmal 95 von insgesamt 14'000 EU-Binnenmarktrechtsakten. Das sind nicht einmal ein Prozent des Binnenmarktrechts. Im Gegenzug kann sich die Schweiz im Rahmen des «Decision Shaping» künftig aktiv am Gesetzgebungsprozess der EU beteiligen.

Zentrale Forderungen der ZHK zur innenpolitischen Umsetzung

Dennoch muss bei der Umsetzung sichergestellt werden, dass die Interessen und die Souveränität der Schweiz bestmöglich gewahrt werden. So muss die nationale Umsetzung bzw. die Anwendung von EU-Recht möglichst unbürokratisch erfolgen und der Aufwand für die Unternehmen so gering wie möglich gehalten werden.

Der vorhandene Spielraum ist zu nutzen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Wirtschaftsstandorts zu wahren. Zudem sollen bei der künftigen dynamischen Rechtsübernahme keine über die EU-Regeln hinausgehenden Regeln eingeführt werden.

Im Interesse der Schweizer Unternehmen ist es unerlässlich, dass die betroffenen Branchen von Anfang an in die Vorbereitungsarbeiten miteinbezogen werden. Die ZHK fordert deshalb bei der Änderung von EU-Rechtsakten, die unter die dynamische Rechtsübernahme fallen, sowie bei der Übernahme neuer Rechtsakte eine Pflicht zur Anhörung der betroffenen Branchen und Verbände.

Schliesslich fordert die ZHK, dass alle relevanten politischen Stakeholder (insbesondere Parlament, Kantone, politische Parteien und Wirtschaftsverbände) frühzeitig und in regelmässigen Abständen, über die voraussichtlich zu übernehmenden Rechtsakte informiert werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die betroffenen Akteure ihre Anliegen wirksam im «Decision Shaping»-Prozess einbringen können, damit etwaige Probleme bereits vor der Beschlussfassung auf europäischer Ebene aufgegriffen werden können.

Berücksichtigt man alle diese Punkte, steht für die ZHK fest: Die punktuell stärkere institutionelle Anbindung an den EU-Binnenmarkt ist ein Preis, den man lieber vermeiden würde. Doch effizienten Marktzugang gibt es nicht umsonst. Dieser Preis bleibt ausserdem in einem klar beschränkten Rahmen. Aus Sicht der ZHK sind die vorliegenden Verträge in der Gesamtabwägung für die Schweiz deshalb die klar beste Option. Jetzt gilt es, bei der Umsetzung der Verträge pragmatische Lösungen zu finden.

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