Um mehr Wohnraum zu schaffen, muss mehr gebaut werden – statt blockiert.

Neubau schafft Perspektiven für Einheimische

Wie eine neue Studie des Forschungsinstituts Sotomo zeigt, profitieren vom Wohnungsbau vor allem Einheimische. Studienautor Michael Hermann, Polit-Geograf und Leiter von Sotomo, erläutert die Ergebnisse in einem Gastbeitrag exklusiv für die Zürcher Handelskammer.

Die urbanen Zentren der Schweiz sind als attraktive Arbeits- und Lebensräume Magnete für Menschen aus dem In- und Ausland. Das gilt besonders für Zürich, dem mit Abstand grössten Ballungsraum der Schweiz. Dabei ist Zürich die einzige grossstädtische Agglomeration, in der die Bevölkerung schneller wächst als der Wohnungsbestand. Wohnungsknappheit und steigende Preise sind die Folge. Auf diese reagieren Politik und Bevölkerung immer abwehrender: Wachstumskritik nimmt zu, ebenso wie der Druck, den Mieterschutz auszubauen und den Markt zurückzubinden. Es herrscht eine protektionistische Grundstimmung. Arealentwicklungen und Wohnungsbau werden dabei eher als Teil des Problems als Teil der Lösung gesehen. Im Fokus stehen nicht jene Menschen, die nur dank Wohnungsbau eine Wohnung finden, sondern jene, die durch Ersatzneubau oder Totalsanierung ihr Zuhause verlieren. Statt als Entlastung des Markts wird Neubau eher als Preistreiber wahrgenommen, der gewachsene Quartierstrukturen zerstört. Das ist fatal. So lange nämlich die Agglomeration Zürich ein attraktiver Arbeits- und Lebensraum bleibt, bleibt auch der Bevölkerungsdruck bestehen. Protektionismus verschärft bloss die Probleme, statt ihnen zu begegnen.

Wohnungsknappheit trifft auf Wachstumskritik

Wird zu wenig gebaut, dann führt dies zu Verdrängung. Wohnungsbau schafft Möglichkeiten für Ansässige, in ihrer Nachbarschaft zu bleiben, wenn sie umziehen müssen. Dies und vieles mehr zeigt die Studie «Wohnraum für Zürich und die Schweiz», die Sotomo im Auftrag der Initiative «Fürschi Züri» der Zürcher Handelskammer erstellt hat.

Ohne Zweifel ist die Zuwanderung aus dem Ausland der wichtigste Treiber für das Bevölkerungswachstum. Falsch ist jedoch, daraus abzuleiten, Neubau komme primär den Zugezogenen zugute. Das Gegenteil ist wahr: Neu erstellte Wohnungen gehen überwiegend an Ansässige. So leben drei Viertel derer, die in der Agglomeration Zürich in eine Neubauwohnung ziehen, schon seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz. Nur gerade 8 Prozent kommen direkt aus dem Ausland. Ähnlich wie bei Genossenschaftswohnungen gibt es auf dem Neuwohnungsmarkt einen impliziten Inländervorrang. Die ansässige Bevölkerung nimmt Bauprojekte frühzeitig zur Kenntnis, ist besser über den Wohnungsmarkt informiert und kann oft langfristig planen und eher Wohneigentum erwerben als Zugezogene. Schweizerinnen und Schweizer zahlen weniger für vergleichbare Wohnungen als ausländische Personen. Gegenwärtig findet dabei ein Exodus der Inländer aus qualitativ schlechteren Nachkriegsbauten hin zu neuwertigen Neubauwohnungen statt. Es sind Personen ohne Schweizer Pass, insbesondere solche aus ärmeren Herkunftsländern, die die freiwerdenden Wohnungen in den Nachkriegsbauten übernehmen.

Umzugsketten schaffen zusätzlichen Wohnraum

Umzugsketten schaffen zusätzlichen Wohnraum

Die mittlere Umzugsdistanz in Neubauwohnungen liegt bei weniger als 5 Kilometern. Viele Personen ziehen also aus der Umgebung ein und geben dabei ihre bisherige Wohnung im selben Quartier frei. Eine Umzugskette setzt sich in Gang. Pro Person, die in eine Neubauwohnung zieht, finden in der Agglomeration Zürich aufgrund dieser Umzugsketten zwei weitere Personen eine Wohnung. Das so mobilisierte Angebot an freien Wohnungen verschafft vor allem jungen Paaren, Einzelpersonen und Familien Wohnraum. Weil diese aufgrund ihrer Lebensumstände oftmals umziehen müssen, machen junge Erwachsene und Familien fast zwei Drittel von jenen aus, die umziehen, während ältere Personen sich an ihre Bestandswohnungen klammern. Solange die Bevölkerung wächst, finden jüngere Menschen deshalb nur durch die Ausweitung des Angebots Wohnraum. Fehlt dieser Wohnraum, werden junge Erwachsene und Familien als erste aus der Stadt und der Agglomeration verdrängt. Denn es gilt: Ohne Wohnraum gibt es auch keinen bezahlbaren Wohnraum. Die Auswertung zeigt ausserdem, dass sich die Wohnpreise im direkten Umfeld grosser Neubauareale nicht anders entwickeln als in vergleichbaren Referenzregionen ohne solche Areale.

Ersatzneubau wirkt nur bei hoher Ausnützung

Entgegen verbreiteten Vorurteilen gehen seit 2016 bloss rund ein Prozent aller Umzüge in der Agglomeration Zürich auf Leerkündigungen zurück. Dennoch gilt, dass immer, wenn alte Gebäude für Neubauten abgerissen werden, Menschen ihre angestammte Wohnung und ihr Zuhause verlieren. Neubau hat vor allem dann einen positiven Effekt auf den Wohnungsmarkt, wenn pro abgebrochene Wohnung viele neue Wohnungen entstehen. Dabei zeigen sich bemerkenswerte regionale Unterschiede. Während in den grossen Westschweizer Agglomerationen bei Ersatzneubau pro bisherige Wohnung mehr als sechs neue entstehen, sind es in den grossen Deutschschweizer Agglomerationen bloss halb so viele. In der Stadt Zürich entstehen sogar nur etwas mehr als zwei neue Wohnung pro abgerissene Wohnung. Eine gezielte Erhöhung der Ausnutzungsziffern nach Westschweizer Vorbild würde die Wirksamkeit von Ersatzneubauten auch diesseits des Röstigrabens stark erhöhen.

Weniger vorbildlich sind dagegen die Westschweizer Ansätze im Mieterschutz. Die Auswertung zeigt, dass freiwerdende Bestandswohnungen in keinem Ballungsraum der Schweiz teurer vermietet werden als in Genf. Dies obwohl hier seit Jahrzehnten ein ausgebauter Mieterschutz mit Mietpreisdeckel bei Wohnungswechsel besteht. Besonders bemerkenswert ist, dass die freiwerdenden Bestandswohnungen hier im Durchschnitt sogar höhere Quadratmeterpreise erzielen als Neubauwohnungen. Zwar gibt es in Genf wegen Mietpreisregulierungen weniger Totalsanierungen und damit auch weniger Leerkündigungen, dafür steigt der Preisdruck bei allen freiwerdenden Bestandswohnungen – ob saniert oder nicht. Ähnliches zeigt sich, aus anderen Gründen, in der Stadt Zürich und an der Zürcher Goldküste. Hier ist die Neubautätigkeit trotz hoher Lageattraktivität und Nachfrage geringer als überall sonst in der Agglomeration Zürich mit dem Effekt, dass der Nachfragedruck bei den Bestandswohnungen steigt und diese nach Mieterwechsel ebenso viel kosten wie Neubauwohnungen. 

Trotz grosser Preisdynamik ist die Tragbarkeit der Miete in allen Teilen der Agglomeration Zürich für rund zwei Drittel der Bewohnenden sehr gut. Das mittlere Einkommensdrittel verwendet nur rund 20 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete. Das untere Einkommensdrittel benötigt dagegen rund 30 Prozent das Haushaltseinkommens. Für dieses untere Drittel braucht es gezielte Massnahmen für die Tragbarkeit der Wohnkosten. Für alle anderen ist die Bereitstellung eines ausreichenden Wohnungsangebots die entscheidende Herausforderung. Wer Neubau verhindert, trägt zur Verdrängung bei.

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