Wo sehen Sie die grössten Stärken Zürichs im internationalen Vergleich und wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Zürich ist einer der führenden Wirtschaftsstandorte in Europa. Im Innovationsranking ist Zürich weit vorne, die Innovationskraft ist hoch. Diese Bildungs- und Forschungsinstitutionen ziehen Talente aus der ganzen Welt an. Ein weiterer Vorteil ist die Internationalität. Zürich ist hervorragend vernetzt, sowohl sprachlich als auch wirtschaftlich. Der Flughafen Zürich verbindet die Stadt mit den wichtigsten Wirtschaftszentren weltweit. Die Ausgangslage ist hervorragend. Verglichen mit der internationalen Konkurrenz bereitet mir indes Sorgen, dass wir punkto Wachstumsrate gegenüber China, Amerika und anderen Ländern ins Hintertreffen geraten. Wir sind herausgefordert. Eine Spitzenposition zu halten ist schwieriger, als von hinten anzugreifen. Es gilt daher, wachsam zu sein und zu verhindern, dass wir satt werden. Eine gewisse Revitalisierung täte gut. Herausforderungen sind zudem die hohe Steuerbelastung, die zunehmende Regulierungen und der Fachkräftemangel respektive Arbeitskräftemangel generell mit Blick auf die demografischen Entwicklungen.
Ein wichtiger Faktor für einen attraktiven Standort ist der Wohnraum. Was braucht es, damit genügend bezahlbare Wohnungen entstehen?
Wir brauchen eine pragmatische Wohnbaupolitik. Der Wohnraum ist knapp, aber das Problem ist nicht nur der Platzmangel, sondern vor allem die politischen und administrativen Hürden. Die Verfahren sind zu kompliziert, und es gibt zu viele Einsprachemöglichkeiten. Unsere Perfektion ist einerseits eine Stärke. In vielen Bereichen behindern wir uns aber damit. Das müssen wir stoppen. Sonst werden wir von falscher Perfektion ausgebremst – in den Bereichen Wohnen und Raumplanung, aber auch in vielen anderen Bereichen. Zudem: Je besser das ÖV-Angebot und die Verkehrspolitik sind, desto weniger Zentrumsdruck haben wir. Zürich muss die Ambition haben, in jedem Thema in den Top 3 zu sein. Dazu ein Beispiel: Für Zürich muss doch die Ambition sein, ein richtiges Fussballstadion zu haben. Es kann nicht sein, dass wir als einzige Stadt in Europa kein Fussballstadion haben. Das Warten geht weiter. Mir fehlt aber auch hier der Wille, das Ziel über einen Plan B oder C zu erreichen.
Der Fachkräftemangel dürfte sich mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt verschärfen. Welche Lösungen sind notwendig?
Grundsätzlich stehen wir im Vergleich zu den Nachbarländern gut da. Wir haben eine gute Position. Aber das Thema ist eine grosse Herausforderung. Der Kanton Zürich sollte das Inländerpotenzial besser nutzen. Attraktive Rahmenbedingungen für Eltern, insbesondere bei der Kinderbetreuung, könnten dazu beitragen, dass mehr Frauen mit höheren Pensen oder Vollzeit arbeiten. Zudem müssen arbeitsrechtliche Vorgaben flexibler gestaltet werden, um zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten zu erleichtern.
Wie wichtig sind stabile Beziehungen zur EU für Ihre Geschäftstätigkeit sowie für den Standort Zürich?
Was niemanden etwas bringt, ist das ständige Bashing der EU. Es braucht eine stabile Beziehung und Rechtsicherheit. Idealerweise können die bilateralen Verträge auf geeignete Weise weiterentwickelt werden. Die EU ist unser grösster Handelspartner, und viele Zürcher Unternehmen sind auf den Zugang zum Binnenmarkt angewiesen. Die Unsicherheiten im Verhältnis Schweiz-EU sind schädlich für Investitionen. Auch die EU muss sich aber bewegen: Es trifft zu, dass sie die Bürokratie stark aufgebläht hat. Das muss reduziert werden.
Was muss geschehen, damit Zürich auch in 20 Jahren noch ein führender Wirtschaftsstandort ist?
Zürich braucht eine klare wirtschaftliche Vision. Es reicht nicht, einfach nur den Status quo zu verwalten. Die Grenzen werden aktuell neu geschrieben, Stichwort KI. Wir müssen aus dem Alltagstrott hinauskommen, dazu hilft die Regulierungsschraube zu lockern. Es braucht unternehmerisches Denken und den Willen, zuoberst auf dem Podest zu sein. Dialog und eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist essenziell. Zürich darf nicht träge und satt werden – sonst laufen wir Gefahr, den Anschluss zu verlieren.