Energie-Versorgungssicherheit ist ein prioritäres nationales Interesse

Kurzfristig muss eine Energiemangellage unbedingt vermieden werden, mittel -und langfristig gilt es die Importabhängigkeit zu reduzieren: Am Lunch Talk der Zürcher Handelskammer haben Fachleute ihre Rezepte dargelegt, wie diese beiden Kernziele erreicht werden können.

Es ist bereits kühler geworden – was kommt nun auf uns zu? Diese Frage beschäftigt die Mitglieder der Zürcher Handelskammer, die ganze Gesellschaft. Regine Sauter, Direktorin der ZHK, eröffnete den Lunch Talk zur drohenden Energiemangellage mit einer Warnung: «Für Gesellschaft und Wirtschaft ist eine sichere Versorgung mit Strom und Gas zentral. Unterbrüche wären verheerend.» Die Sicherstellung der Energieversorgung sei für das ganze Land und insbesondere für die Wirtschaft eine fundamental wichtige Aufgabe, sagte Regine Sauter (siehe dazu auch der aktuelle «Kommentar der Direktorin»). Um auf längere Sicht unabhängiger zu werden, ist für sie auf Technologieoffenheit, Innovation und marktwirtschaftliche Lösungen zu setzen. 

Forciert werden muss für Regine Sauter zudem der Ausbau erneuerbarer Energien. Bewilligungsverfahren seien zu beschleunigen, Solar-Energie-Projekte müssten rascher umgesetzt werden können, wie dies das Parlament in der vergangenen Session beschlossen hat. Die Attraktivität der Photovoltaik zu steigern, steht notabene nicht nur in Bern, sondern auch im Kantonsrat Zürich auf der Agenda. 

Immerhin – die Gasspeicher sind voll 

Daniela Decurtins, Direktorin Verband der Schweizerischen Gasindustrie, brachte mit Blick auf den Winter zwei gute Nachrichten mit an den Lunch Talk. Erstens seien die Gasspeicher inzwischen zu rund 91 Prozent voll. Zweitens habe sich der Gasmix stark verändert. Der Anteil von russischem Gas sei auf unter 10 Prozent gesunken, insbesondere Flüssigerdgas habe zugelegt. Nach wie vor würden aber Unsicherheiten und die Preisaufschläge in ungekannte Höhen belasten.

Um sich beschaffungsseitig für den Winter zu wappnen, seien auch Verhandlungen mit Nachbarländern über Solidaritätsabkommen im Gange – diese seien indes zäh. Sollte sich die Lage tatsächlich zuspitzen, trete die bekannte Kaskade in Kraft: Sparappelle, Umschaltung von Zweistoffanlagen von Gas auf Öl, schrittweise Steigerung von Einschränkungen und Verboten und, im schlimmsten Fall, die Kontingentierung.

Mangellage verhindern

Eine solche Kontingentierung gelte es unbedingt zu verhindern, sagte Michael Frank, Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen. Nicht zu vergessen sei, dass 18 Prozent des europäischen Stroms mit Gas erzeugt werde. Darum gelte: «Solange wir kein Problem mit Gas haben, haben wir auch kein Problem mit Strom.» Werde aber in den kritischen Monaten Januar, Februar und März 2023 das Gas knapp, drohten auch Rückkoppelungen auf die Stromversorgung. Dies gelte es zu vermeiden – fast um jeden Preis.

Mittel- und langfristig bereitet Michael Frank die hohe Importabhängigkeit Bauchweh, wie er sagte. Er betonte die Wichtigkeit eines Stromabkommens zwischen der Schweiz und der EU. Im Inland gelte es, die erneuerbare Energie auszubauen. Alle müssten Kompromisse eingehen, auch die Umweltverbände, mit der Begründung: «Der Ausbau der Erneuerbaren ist ein prioritäres nationales Interesse.»

Liberale Lösungen – kein Preisdeckel

Patrick Dümmler, Senior Fellow und Forschungsleiter Offene Schweiz bei Avenir Suisse, sieht zwei parallele Krisen, mit denen wir konfrontiert sind: Einerseits sei die Versorgungssicherheit mit Strom und Gas akut gefährdet, andererseits hätten wir mit Preisrekorden und hoher Preisvolatilität zu kämpfen. Um Lösungen zu ermöglichen, müsse der Staat attraktive Rahmenbedingungen für Investoren bieten. Staatliche Stützungen seien aus liberaler Sicht abzulehnen.

Gravierend ist für Patrick Dümmler, dass die Schweiz in der europäischen Stromlandschaft schrittweise vom prägenden Akteur zum Beobachter an der Seitenlinie abgestiegen sei. Dringlich sei mindestens ein technisches Abkommen mit der EU, langfristig müsse ein umfassendes Marktzutrittsabkommen gesichert werden. Die Schweiz habe aber auch Hausaufgaben zu lösen, insbesondere sei eine Privatisierung des dominierenden staatlichen Eigentums im Strombereich anzugehen. Eine vollständige Marktöffnung und die Einführung der Wahlfreiheit für alle Konsumentinnen und Konsumenten würden mehr Wettbewerb bringen. Dass der bisherige Weg gescheitert sei, bringe für ihn die Aussage von Werner Luginbühl, Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom), auf den Punkt, der zum Kauf von Kerzen und Brennholz geraten hat. «Die Schlagzeile des Sommers» meinte Patrick Dümmler: Es brauche nun eine klare Priorisierung, Offenheit, Kostenwahrheit und Technologieoffenheit. asü

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