Raphaël Tschanz, Direktor der Zürcher Handelskammer (ZHK), eröffnete den Abend mit einem klaren Statement: «Zürich wächst – deshalb müssen wir mehr bauen: schneller, verlässlicher, wirtschaftlicher.» Die Vorkaufsrechtsinitiative klinge zwar nach einem Hebel gegen die Knappheit, «wäre aber teuer, rechtlich unsicher und sie bringt keine einzige neue Wohnung». Zielführend sei der Gegenvorschlag des Regierungsrats, der die gemeinnützigen Bauträger über einen höheren Darlehensrahmen stärke. Tschanz strich hervor, dass in der oft ideologisch geführten Debatte Fakten statt Mythen gefragt seien. Aus diesem Grund habe die ZHK über die von ihr lancierte Plattform «Fürschi Züri» beim Forschungsinstitut Sotomo die Studie «Wohnraum für Zürich» in Auftrag gegeben; die Resultate wurden kürzlich publiziert. Eine Kernaussage lautet: Neubau setze Umzugsketten in Gang und entlaste so den Markt, treibe die Mieten in der Nachbarschaft nicht zusätzlich und sei oft effizienter als Totalsanierungen.
Regierungsperspektive: Angebot erhöhen, Verfahren beschleunigen
Regierungsrätin Carmen Walker Späh skizzierte die Lage mit Blick auf den Kanton: Die Leerwohnungsziffer sei historisch tief, der Wohnungsbau habe sich verlangsamt, und es brauche in den kommenden Jahren aufgrund des Bevölkerungswachstums und des grösseren Flächenverbrauchs pro Person «rund 90'000 zusätzliche Wohnungen». Die Innenentwicklung komme zu schleppend voran; Regeln und Verfahren behinderten das Bauen im Bestand. Ihr Fazit: «Wir brauchen neue Wohnungen, nicht neue Staatsaufgaben mit Nebenwirkungen.»
Nötig seien klarere und digitale Verfahren, straffere Fristen und mehr Höhe. Die Regierungsrätin sagte: «Bauen muss einfacher gehen, schneller gehen, höher gehen.» Mit Blick auf die Abstimmung differenzierte sie: Während ein Vorkaufsrecht kurzfristig dämpfende Preiseffekte haben könne, verschärfe es langfristig die Knappheit und erhöhe die Planungsunsicherheit. Der Eingriff in private Entscheidungen sei massiv, Prozesse würden verlangsamt, in der Summe werde die Wohnungsknappheit nicht entschärft, sondern sogar noch verschärft. Der Gegenvorschlag des Regierungsrats, für den sich auch der Kantonsrat ausgesprochen hat, setze dagegen sofort wirksame Mittel frei und stärke die preisgünstige Schaffung von neuem Wohnraum.
Ökonomische Einordnung: Nebenwirkungen vermeiden
Claudio Saputelli, Chief Investment Officer Global Real Estate bei der UBS, ordnete staatliche Eingriffe aus volkswirtschaftlicher Sicht ein. Gut gemeinte Instrumente könnten unbeabsichtigte Effekte auslösen – etwa, indem Investitionen erschwert, Risiken verlagert oder Ausweichstrategien provoziert würden. «Solche staatlichen Eingriffe können das Gegenteil bewirken und die Knappheit verschärfen», sagte er. Entscheidend sei, das Marktangebot zu erweitern und Investitionssicherheit zu wahren. Zugleich erinnerte Saputelli an die Rolle institutioneller Eigentümer: «Wir brauchen Renditeobjekte – sie sind auch wichtig für unsere Pensionskassen.» Je stärker der Bestand pauschal geschützt werde, desto mehr verknappe sich das Angebot an neuen, frei verfügbaren Wohnungen – mit steigenden Angebotsmieten als Folge. Der UBS-Ökonom wies zudem darauf hin, dass die Finanzierung schwierig sei – und selbst bei hohen Ausgaben nur wenige in den Genuss von staatlich erworbenem Wohnraum kämen: «Die Allgemeinheit zahlt und trägt das Risiko. Es profitiert aber nur eine Minderheit.»
Kontroverse auf dem Podium: Wege zu mehr Wohnraum
In der abschliessenden Diskussion prallten standort-, sozial- und gemeinwohlorientierte Ansätze aufeinander – mit einem Nenner: Die Verfahren seien zu beschleunigen.
Cristina Cortellini, Kantonsrätin GLP und Vorsteherin Infrastruktur & Unterhalt im Gemeinderat Dietlikon, betonte die Angebotsseite und die innere Verdichtung: «Wir brauchen 50'000 Wohnungen mehr – das geht nur mit mehr bauen, und zwar dort, wo schon gebaut ist.» Verdichtung müsse qualitativ, städtebaulich sinnvoll und mit guter Erschliessung erfolgen. Das Vorkaufsrecht bringe keine einzige neue Wohnung. «Es verzögert, verteuert und blockiert Investitionen.» Was gemäss Cortellini wirklich nötig ist: schnellere Verfahren, flexiblere Raumplanung und Anreize für Bauprojekte mit preisgünstigen Wohnungen – «damit Familien, Junge und Ältere genug bezahlbaren Wohnraum finden».
Walter Angst, AL, Leiter Kommunikation des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich, hielt dagegen, dass die öffentliche Hand verlässlichere Instrumente brauche, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern. «Die Erhöhung der Darlehen an gemeinnützige Bauträger braucht es ohnehin, unabhängig vom Ausgang der Abstimmung.» Entscheidend sei, dass Wohnungen mit mittleren Einkommen bezahlbar blieben.
Rafael Mörgeli, Kantonsrat SP, fokussierte auf die Leistbarkeit: «Wir brauchen nicht nur mehr Wohnungen, sondern auch mehr Wohnungen, die man sich leisten kann.» Ohne gezielte Massnahmen für das preisgünstige Segment laufe reiner Mengenausbau ins Leere.
Domenik Ledergerber, Kantonsrat und Präsident der SVP Kanton Zürich, warnte vor zusätzlichen staatlichen Eingriffen: Private Investitionen und gemeinnützige Trägerschaften seien wirksamer als neue Zwangsinstrumente. «Private Genossenschaften sind eine bessere Lösung als Staatsintervention», so sein Plädoyer für einfache Regeln, Planungs- und Investitionssicherheit.
Zielführender Gegenvorschlag
Einigkeit bestand darin, dass Verfahren gestrafft, digitale Prozesse ausgebaut und Zuständigkeiten klarer geregelt werden sollten. Kontrovers blieb, ob ein Vorkaufsrecht das richtige Mittel sei oder ob es – wie von der Regierung, von der Kantonsrat-Mehrheit und Teilen des Podiums argumentiert – Investitionen hemme und damit das Angebot langfristig schwäche.
Der Themenabend zeigte: Zürich braucht mehr Wohnungen – rascher, verlässlicher und qualitätsvoll verdichtet. Ob das kommunale Vorkaufsrecht dazu beiträgt oder den gegenteiligen Effekt hat, entscheidet die Stimmbevölkerung am 30. November 2025. Die ZHK lehnt die Initiative klar ab und unterstützt den Gegenvorschlag des Regierungsrats, der gezielt wirkt und jenen Haushalten mit geringem Einkommen zugutekommt, die es wirklich benötigen.