Zürich muss vorwärts machen – auch für die Arbeitnehmenden

Zwei aktuelle Meldungen zum Arbeitsmarkt und zu Firmenabwanderungen lassen aufhorchen. In Zürich ist ein Stellenüberschuss festzustellen – und Zürich verliert Unternehmen. Direkt besteht keine Verknüpfung der beiden Entwicklungen – indirekt aber sehr wohl.

Der Arbeitsmarkt boomt. Im Kanton Zürich verbleibt die Arbeitslosenquote im Juli 2022 bei 1,7% - dem tiefsten Wert seit über 20 Jahren. Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh rechnet auch in den kommenden Monaten mit weiterhin sehr tiefen Arbeitslosenzahlen. Die Kehrseite: Auch der Arbeitskräftemangel dürfte sich weiter verschärfen.

Wo sind all die Arbeitnehmenden hin? Ist die Generation Z arbeitsmüde oder verwirklicht sie sich selbst? Ist der Gastromitarbeiter nun Yogalehrer, die Logistikerin als freischaffende Ernährungsberaterin tätig? Vereinzelt vielleicht schon, der Grund für die aktuelle Entwicklung ist anders geartet, wie ein aktueller Bericht der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) zeigt. Der wichtigste Grund für den Fach- und Arbeitskräftemangel ist laut dem Bericht der boomende Arbeitsmarkt. Die ETH-Experten sprechen denn auch nicht von Fachkräftemangel – sondern von Stellenüberschuss. Es braucht laut der KOF schlicht viel mehr Personal als vor der Krise. Der Personalmangel ist also real: In vielen Branchen ist der Personalmangel laut der KOF nahe oder über dem historischen Höchststand.

Weniger erfreulich ist aus Zürcher Sicht eine andere aktuelle Entwicklung. Für das Jahr 2021 hat der Informationsdienstleisters Crif ausgerechnet, wie viele Unternehmen pro Kanton zu- und weggezogen sind. Zürich findet sich am Tabellenende - der Saldo ist klar negativ. Rund 1500 Firmen haben 2021 Zürich verlassen und in einem anderen Kanton eine neue Heimat gefunden. Nur rund 1150 sind zugezogen. 

Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessern

Direkte Kausalitäten zwischen dem aktuellen Stellenüberschuss und der Nettoabwanderung von Unternehmen aus dem Kanton Zürich gibt es nicht. Indirekt ist aber sehr wohl auf Zusammenhänge hinzuweisen – mit Nachdruck. Die aktuelle, aus Sicht der Arbeitnehmenden fast schon paradiesische Arbeitsmarksituation darf nämlich nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Die Wirtschaft wird nicht ewig boomen – dämpfende Faktoren zeichnen sich bereits ab. Der Arbeitnehmermarkt ist zwar durchaus positiv, auch er ist aber nicht gottgegeben. Umso wichtiger ist es, den Unternehmen langfristig attraktive Rahmenbedingungen zu bieten, damit sie sich nachhaltig entwickeln und damit sie nachhaltig Arbeitsplätze schaffen können. 

Die Politik ist gefordert. Die Arbeitsmarktsituation darf keinesfalls als Schlafmittel wirken. Vielmehr ist die Nettoabwanderung von Firmen als Weckruf zu verstehen. Die Steuerbelastung ist nicht das einzige Kriterium in der Frage, wo sich ein Unternehmen niederlässt. Aber es ist eines, und Zürich steht in diesem Bereich schlecht da. Es wirkt zunehmend belastend, dass die Steuerlast für juristische und natürliche Personen überdurchschnittlich hoch ist. Namentlich bei den Unternehmenssteuern ist eine deutliche Reduktion angezeigt. Profitieren würden alle – auch all jene, die heute vermeintlich sichere Arbeitsplätze haben. Hemmend sind auch die ungenügende Digitalisierung der Verwaltung, zu starre Arbeitsgesetze und die Monopole sowie Beteiligungen des Kantons, die den Wettbewerb verzerren. Zentral wichtig ist zudem, das Verhältnis zur EU zu stabilisieren und, gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel,  Flexibilität bei Drittstaatenkontingenten zu erreichen. In diesen Punkten ist die Politik gefragt – sie darf nicht tatenlos zusehen, wie Zürich an Terrain verliert. asü

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