«Die Konkurrenz schläft nicht, andere Standorte holen auf»

Der Standort Zürich ist gut positioniert, doch der Wettbewerb verschärft sich. Regine Sauter und Raphaël Tschanz erläutern, was es braucht, damit der Wirtschaftsraum Zürich langfristig attraktiv bleibt. Und warum sie Künstlerinnen und Künstlern viel Raum im Jubiläumsjahr der Zürcher Handelskammer geben.

Regine Sauter, Raphaël Tschanz, der Standort Zürich steht im Jubiläumsjahr der Zürcher Handelskammer ausgezeichnet da, der Wohlstand ist gross, viele Firmen prosperieren. Mit Verlaub: Braucht es die Zürcher Handelskammer da noch?

Regine Sauter: In der Tat fühlt man sich manchmal etwas als Rufer in der Wüste, wenn man darauf hinweist, dass unser Wohlstand nicht gottgegeben ist. Dennoch: Die Konkurrenzschläft nicht, andere Standorte im Ausland holen auf. Wir müssen unserer Wirtschaftsregion Sorge tragen, dafür schauen, dass sie ihre Vorteile weiterhin ausspielen kann. Und dies ist und bleibt die Aufgabe unseres Wirtschaftsverbands.

Raphaël Tschanz: Unseren heutigen Wohlstand haben wir den Generationen vor uns zu verdanken, die dafür die Grundlagen geschaffen haben. Darauf gilt es aufzubauen und diesen Wohlstand für die nächste Generation nicht nur zu erhalten, sondern möglichst zusteigern. Die ZHK setzt sich deshalb heute und auch in Zukunft dafür ein, dass im Raum Zürich liberale Rahmenbedingungen für eine prosperierende Wirtschaft gegeben sind.

Was ist denn konkret der Nutzen, den die Zürcher Handelskammer grösseren, mittleren und kleinen Unternehmen bietet? Was habe ich als Unternehmer davon, wenn ich bei Ihnen dabei bin?

rt: Die ZHK baut Brücken zwischen Unternehmen,der Politik und der Gesellschaft. Sie vertritt die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Politik und den Behörden und bringt deren Anliegen in den politischen Prozess ein. Unsere Mitglieder profitieren von einem starken Netzwerk, erhalten Zugang zu Fachanlässen, zu Dienst- und Beratungsleistungen in Export- und Arbeitgeberfragen sowie zu einem breiten Angebot an Informationsmitteln über Politik und Wirtschaft. Die ZHK vermittelt zudem im Rahmen ihrer Wirtschaftswochen jährlich rund 500 Schülerinnen und Schülern Wirtschaftswissen. 

rs: Als Unternehmen können Sie das Wirtschaftslobbying getrost der ZHK überlassen –wir vertreten Ihre Interessen gezielt, denn das ist unsere Aufgabe. Und diese Interessen – eine gute internationale Anbindung, ein innovatives Umfeld, moderate Steuern – verbinden im Übrigen sowohl grosse als auch kleine Unternehmen.

Sie sind eine Kooperation mit der Zürcher Hochschule der Künste eingegangen – dabei sind sieben Kunstwerke zu sieben Megatrends entstanden. Warum haben Sie Künstlerinnen und Künstler beauftragt, den Weg in die Zukunft zu zeigen?

rs: Das Motto unseres Jubiläumsjahres lautet «Für jetzt und die nächste Generation». Der Blick soll nach vorne gerichtet werden, und die Megatrends definieren, in welchem Rahmen sich die nächste Generation bewegen wird. Wie dies genau aussieht, wissen wir nicht, aber wir dürfen ruhig Fantasie walten lassen und uns unsere Umgebung auch gestalten. Wer wäre da besser geeignet als Künstlerinnen und Künstler, die schon von «Berufs wegen» fantasievoll sind. Uns interessiert, wie sie die Zukunft sehen, und natürlich stellen wir dann auch die Frage, ob es wünschbar ist, so zu leben, oder anders gesagt, falls nicht, in welche Richtung wir uns weiterentwickeln sollten. Die Partnerschaft soll anregen, Diskussionen auslösen – auch kontroverse.

rt: Die angefragten Künstlerinnen und Künstler gehören der jüngeren Generation an und blicken mit anderen Augen auf die Zukunft. Durch ihre künstlerisch-gestalterische Praxis schaffen sie eine Öffentlichkeit für die aktuellen gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen und liefern dadurch Denkanstösse.

Was hat Sie gefreut, was überrascht an den Bildern?

rs: Vor allem hat mich gefreut, dass die Künstlerinnen und Künstler bereit waren, sich auf das Experiment einzulassen. Die Bilder zeigen auch, wie intensiv sich die jungen Menschen mit den Fragen unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Überrascht oder besser gesagt gefreut hat mich, dass auch viel Optimismus und Offenheit aus den Bildern spricht. Heute erhält man manchmal den Eindruck, dass junge Menschen die Zukunft nur noch negativ beurteilen.

rt: Entstanden sind sieben attraktive Kunstwerke mit je einer eigenen Bildsprache, die teils vertraut und teils fremd wirken und zum Nachdenken anregen. Ich bin gespannt auf die Reaktionen unserer Mitglieder.

Sie haben die Künstlerinnen und Künstler prominent sprechen lassen. Ihr Jubiläumsmotto lautet: «Für jetzt und die nächste Generation». Was sind denn Ihre Visionen für Zürich – was für ein Zürich schaffen wir für die nächste Generation?

rs: Sicherheit und Nachhaltigkeit werden in den nächsten Jahren zwei wichtige Eckwerte für unsere Gesellschaft sein. Sicherheit bedeutet auch Existenzsicherung und Nachhaltigkeit, damit wir in einer Umgebung mit hoher Lebensqualität leben können. Zu beidem kann die Wirtschaft einen bedeutenden Beitrag leisten, wenn wir ihr die Freiheit lassen. Die Wirtschaft ist Teil der Lösung und nicht das Problem, wie gewisse Kreise gerne suggerieren. Und sie leistet damit einen Beitrag für die Gesellschaft: Die Wirtschaft ist innovativ, anpassungs- und erneuerungsfähig und wird auch in Zeiten des Wandels viele neue attraktive Berufe und Arbeitsplätze und damit weiterhinWohlstand schaffen. Wichtig zu betonen ist auch: Die Wirtschaft ist sich ihrer Verantwortung in Bezug auf unsere Ressourcen bewusst. Es ist gerade die Innovationskraft unserer Unternehmen, die dazu beiträgt, dass wir unsere Grundlagen erhalten können.

rt: Zürich soll auch in 25 Jahren ein lebenswerter und lebendiger Standort sein, der nicht nur dem Individuum Wohnraum und Entfaltungsmöglichkeiten bietet, sondern seiner ureigenen Rolle und Funktion als Wirtschaftszentrum gerecht werden kann. Der Standort Zürich soll auch dannzumal für Unternehmen unterschiedlicher Grösse und Ausprägung offen und attraktiv sein und ihnen Freiraum und die Grundlage für eine erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit bieten können.

Und mit Blick auf die nächsten Monate und Jahre: Was sind die Knacknüsse, was die Chancen?

rt: Die Zürcher Stimmbevölkerung hat am 12. Februar der bürgerlichen Regierung ihr Vertrauen ausgesprochen. In der neuen Legislatur gibt es einiges anzupacken. Unser Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit. Aus Sicht der Wirtschaft hat die Stärkung Zürichs im Standortwettbewerb oberste Priorität. Zentrale Themen sind Raumplanung, Infrastruktur, Steuern sowie Bildung und Forschung. Zu diesen Themen wird sich die ZHK konstruktiv am politischen Diskurs beteiligen.

Zum Schluss an beide eine persönliche Frage. Raphaël Tschanz, Sie sind nicht im 150., sondern im ersten Jahr bei der Zürcher Handelskammer. Wie haben Sie sich eingelebt – und wo setzen sie Akzente?

rt: Ich bin zu einer gut funktionierenden Organisation mit einem eingespielten Team gestossen. Es erfüllt mich mit Stolz, Teil der ZHK mit ihrer langen Tradition und Geschichte sein zu dürfen. Meine Aufgabe sehe ich darin, die ZHK als «Stimme der Wirtschaft» in wirtschaftspolitischen Fragen zukunftsgerichtet zu positionieren und ihr das dafür nötige Gehör zu verschaffen. Dadurch soll es uns gelingen, weitere Unternehmen vom Nutzen und der Bedeutung einer Mitgliedschaft bei der ZHK zu überzeugen.

Regine Sauter, Sie treten im Herbst 2023 zu den Ständeratswahlen an. Sie wollen den Kanton Zürich künftig also auch im «Stöckli»vertreten. Welche Zürcher Themen sind in Bern besonders wichtig, wofür werden Sie sich einsetzen?

rs: Ohne überheblich zu sein, kann man sagen, dass der Kanton Zürich eine wichtige Bedeutung für die ganze Schweiz hat. Der Kanton Zürich bietet Arbeitsplätze, Einkommen und Existenz nicht nur für Zürcherinnen und Zürcher, sondern für ganz viele andere. Er ist Standort einer der weltbesten Hochschulen und einer Universität, die in Europa führend ist. Er ist Nährboden und gewissermassen «Umschlagplatz» für gute Ideen und Pionierleistungen – heute Innovation genannt, die nicht nur Zürcher Unternehmen zugutekommen. Und Zürich verbindet die Schweiz mit der Welt. Auch davon profitiert die ganze Schweiz. Zürcher Politikerinnen und Politiker müssen sich deshalb im Kanton Zürich, aber auch in Bern für die Stärken Zürichs einsetzen. Darauf wird mein Fokus gerichtet sein.

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