Chronische Krankheiten – eine unterschätzte Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft


Probleme mit dem Herzkreislauf, Diabetes oder Adipositas: Die Zahl der Menschen mit chronischen Krankheiten steigt rasant, weltweit und in der Schweiz. Am Anlass «Wirtschaft@Wirtschaft» der Zürcher Handelskammer in Kooperation mit der dänischen Pharma-Firma Novo Nordisk drehte sich alles um die unterschätzte Herausforderung chronischer Krankheiten für die Wirtschaft und die Gesellschaft.

«Die stetig steigende Lebenserwartung in der westlichen Welt ist ein Zeichen davon, dass die Menschen nie gesünder waren als heute», eröffnete ZHK-Direktorin Regine Sauter den Anlass. «Andererseits werden zum Beispiel die Fallzahlen bei Diabetes in den nächsten Jahren weltweit viel stärker steigen als das Bevölkerungswachstum», führte Regine Sauter weiter aus. Allgemein kosten chronische Krankheiten immer mehr Leben und stellen das Gesundheitssystem vor grosse Herausforderungen. Die Gründe für den Anstieg der nichtübertragbaren Krankheiten sind vielfältig, allerdings lassen sich mit präventiven Massnahmen chronische Krankheiten oft vorbeugen. In der Schweiz waren im Jahr 2017 2.7 Millionen Menschen von mindestens einer der fünf häufigsten chronischen Krankheiten betroffen. Dies belastet nicht nur die Betroffenen und das Gesundheitssystem, sondern auch die Wirtschaft: Die volkswirtschaftlichen Kosten, z.B. in Form von Arbeitsausfällen, betragen 74.2 Milliarden Franken.

Novo Nordisk – eine 100-jährige Erfolgsgeschichte

Ein Unternehmen mit langjähriger Erfahrung mit chronischen Krankheiten ist Novo Nordisk. «Die Geschichte von Novo Nordisk hat ihren Ursprung in grenzenloser Liebe», führte Anne Mette Wiis Vogelsang aus, seit Juli 2023 General Managerin der Schweizer Filiale des dänischen Pharmaunternehmens. Nachdem August Krogh 1920 den Nobelpreis für Medizin erhielt, durfte er eine Forschungsreise nach Amerika unternehmen. Kurz davor hatten Ärzte bei seiner Frau Marie Diabetes diagnostiziert, eine Krankheit, gegen die es damals noch kein Mittel gab. Da Marie von einer bahnbrechenden Entdeckung in Kanada hörte, überredete sie ihren Mann, auf der Forschungsreise einen Abstecher nach Toronto zu machen. Dort lernten sie nicht nur die Entdecker des Insulins kennen, dem ersten Wirkstoff gegen Diabetes, sondern erhielten von diesen die Erlaubnis, dieses lebensrettende Medikament in Dänemark herzustellen. «Dafür gründet Krogh 1923 in Dänemark die Vorläuferin von Novo Nordisk», erklärte Wiis Vogelsang. 

Die Verbindung von Novo Nordisk zur Schweiz entstand bereits 1930 mit der Gründung der ersten Aussenfiliale. Heute beschäftigt Novo Nordisk hier über 350 Angestellte im Circle am Flughafen Zürich und leistet damit einen wichtigen Betrag am Gesundheitscluster im Grossraum Zürich. «Wir leben das Dreieck zwischen ökonomischer, ökologischer und sozialer Verantwortung», bestätigte die General Managerin. Novo Nordisk wird auch in Zukunft weiter investieren – auch am Standort Schweiz. «Unser Ziel bleibt, schwere chronische Erkrankungen vorzubeugen, zu therapieren und letztlich zu heilen.» Extrem wichtig hierzu seien für Novo Nordisk Partnerschaften – so wie mit der Zürcher Handelskammer.

Wachsende Kosten im Gesundheitsbereich

An der anschliessenden Paneldiskussion unter der Leitung von Andreas Schürer waren Prof. Dr. Simon Wieser, Dozent und Leiter Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie bei der ZHAW School of Management and Law, Dr. Marion Hämmerli, Partnerin bei McKinsey & Company sowie Dr. Josua Jordi, CEO und Mitgründer von EraCal Therapeutics Ltd beteiligt. «Auf uns kommen grosse Herausforderung im Bereich des Gesundheitswesens zu. Die Kosten steigen laufend. Chronische Krankheiten machen 80% der Gesamtkosten aus», erläuterte Hämmerli. Mit der demographischen Entwicklung werde sich dieses Problem weiter akzentuieren. Langfristig stelle sich die Frage, wie die Schweiz die hohe Qualität ihrer Gesundheitsdienstleistungen halten und dennoch finanzieren könne. 

«Von den 10'000 Franken, die wir für Gesundheit ausgeben, entfallen mehr als 80% auf nicht-übertragbare Krankheiten. Risikofaktoren wie Übergewicht sind starke Kostentreiber. Chronische Krankheiten sind aber immer noch besser als tödliche Krankheiten, weil man diese therapieren kann», fügte Wieser an. «Die Problematik von Übergewicht ist seit den 1950er Jahren bekannt. Das Bewusstsein in der Schweiz und allgemein in reichen Ländern ist grundsätzlich sehr gut. Die Leute sind durch die vielen Ratschläge teilweise aber auch überfordert», ergänzte Jordi. Die Runde war sich einig, dass insbesondere auch die sozioökonomische Determinante für ein hohes Gesundheitsbewusstsein relevant ist. Die Schweiz wendet jährlich etwa 11-12% ihres BIP für das Gesundheitswesen auf. Es sei letztlich eine Frage der Allokation, wie dieses Geld bestmöglich eingesetzt werde. Wieser gab zu bedenken, dass die Arbeitgeber für einen Teil dieser Kosten aufkommen müssten. Durch Krankheitstage verringere sich die Produktivität. Es liege deshalb im Interesse der Arbeitgeber, ein Umfeld für moderate Arbeitsbelastung zu gestalten. Jordi gab allerdings zu bedenken: «Was für uns als Start-up gilt, gilt natürlich nicht für viele andere Unternehmen. Gerade zu Beginn braucht es von den Mitarbeitenden einen Zusatzeffort, bis das Geschäft zum Laufen kommt.»

Innovationstreiber im Gesundheitswesen

Zürich ist bekannt als starker Innovationsstandort. «Gilt dies auch für das Gesundheitswesen?», fragte Andreas Schürer in die Runde. «Wir sind in gewissen Bereichen Weltspitze. Allerdings hinken wir im Bereich der Digitalisierung hinterher», antwortete Marion Hämmerli. Gemäss einer von ihr miterarbeiteten Studie liegt das jährliche Einsparpotenzial bei 8.2 Milliarden Franken. Hämmerli erwähnte Projekte wie das elektronische Patientendossier, welches endlich konsequent umgesetzt werden müsse. «Es ist sehr wichtig, dass die Politik handelt. Das Gesundheitswesen ist aktuell zu stark fragmentiert. Wir brauchen in der Schweiz nationale Standards», meinte Simon Wieser. 

Start-up Gründer Josua Jordi lobte die Standortattraktivität der Wirtschaftsregion Zürich. Allerdings sei es gerade für Start-ups teilweise schwierig, grössere Finanzierungsrunden zu überstehen, weil die Investoren im Gesundheitsbereich mehrheitlich in den USA angesiedelt sind. «Das hängt stark kulturell mit dem Umgang mit Risikokapital zusammen», klärte Hämmerli die Anwesenden auf. Hier müsse sich in Zukunft definitiv etwas verändern. Ein weiteres Problem sei die langwierige Marktzulassung für Medikamente gegen chronische Krankheiten. «Es ist als Unternehmen finanziell oftmals nicht attraktiv genug, im Bereich chronischer Krankheiten zu forschen», erläuterte Jordi. Gemäss Wieser wäre die Zahlungsbereitschaft vorhanden. Die Prämienerhöhungen würden zwangsweise irgendwann eine Systemfrage hervorrufen. Die Krankenversicherungen bezahlten heute nicht für präventive Massnahmen, sondern erst im Krankheitsfall. Das setze Fehlanreize. Das Panel war sich einig, dass der Aufklärungsbedarf im Bereich der chronischen Krankheiten gross sei. Hier seien insbesondere auch die Schulen gefordert, einen adäquaten Wissenstransfer herzustellen.