Die Schweiz braucht ein Rahmenabkommen mit der EU

Nachdem sich die Schweizer Stimmbevölkerung am 27. September 2020 mit 61,7 Prozent überaus deutlich gegen die Kündigungsinitiative ausgesprochen und damit für die Beibehaltung des erfolgreichen bilateralen Wegs mit der EU entschieden hat, rückt nun wieder das Institutionelle Rahmenabkommen (InstA) in den politischen Fokus. Seit Ende 2018 liegt ein zwischen der Schweiz und der EU ausgehandelter Vertragsentwurf vor, der innenpolitisch umstritten ist. Nun ist der Bundesrat aufgefordert, die kritischen Punkte mit dem Vertragspartner zügig zu lösen.

Die Europäische Union ist die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz und im Bereich der Exporte verdienen Schweizer Unternehmen jeden zweiten Franken in der EU. Auch für den Standort Zürich ist ein Rahmenabkommen von besonderer Wichtigkeit. So ist zum Beispiel die im Wirtschaftsraum Zürich mit vielen Unternehmen vertretene Medtech-Branche auf einen äquivalenten Zugang zum EU-Binnenmarkt angewiesen. Darüber hinaus hängt auch die Funktionsfähigkeit der Schweizer Landesflughäfen von den Abkommen mit der EU ab.

Unerlässlich für die Schweizer Wirtschaft

Bis heute regeln über 120 bilaterale Verträge die Beziehungen der Schweiz zur EU. Doch nur wenige davon betreffen den Marktzugang, um den es bei den institutionellen Fragen geht. Mit dem Institutionellen Rahmenabkommen (InstA) sollen die bilateralen Verträge auf ein rechtlich stabiles Fundament gestellt und der diskriminierungsfreie Zugang zum EU-Binnenmarkt langfristig sichergestellt werden.
Mit einem funktionierenden InstA erhalten Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit. Zudem ermöglicht ein Abkommen, dass zukünftig neue sektorielle Marktzugangsabkommen abgeschlossen werden können. Dies ist angesichts der stark verflochtenen Handelsbeziehungen der Schweiz mit der EU von grosser Bedeutung.

Kern des Abkommens

Dem InstA unterstellt werden fünf bestehende Marktzugangsabkommen (Personenfreizügigkeit, technische Handelshemmnisse, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Luftverkehr, Landverkehr) sowie allfällige künftige Abkommen wie das geplante Stromabkommen.
Mit dem Abkommen wird das Prinzip der dynamischen Aktualisierung der bilateralen Marktzugangsabkommen sowie ein Streitschlichtungsmechanismus eingeführt, durch welchen beide Parteien ihre Rechtsansprüche geltend machen können. Bei Streitigkeiten zum Rahmenvertrag ist die vorgesehene Streitbeilegung mittels paritätisch besetztem unabhängigen Schiedsgericht positiv zu werten. Akzeptiert eine der Parteien den Schlichtungsentscheid nicht, kann die Gegenpartei verhältnismässige Massnahmen zum Ausgleich treffen. Die Verhältnismässigkeit kann dabei vom Schiedsgericht geprüft werden. Damit wird die Schweiz, welche als kleinere Vertragspartei oft am kürzeren Hebel sitzt, vor sachfremden Massnahmen der EU geschützt.
Dadurch schafft das institutionelle Abkommen Rechts- und Planungssicherheit für Schweizer Unternehmen sowie für Bürgerinnen und Bürger, garantiert deren EU-Marktzugang und schützt vor Diskriminierung gegenüber der EU-Konkurrenz.

Klärungsbedarf erwünscht:
bei der Unionsbürgerrichtlinie

Der Bundesrat muss bei der Unionsbürgerrichtlinie Klärung schaffen. Die Unionsbürgerrichtlinie regelt den freien Personenverkehr von Unionsbürger innerhalb der EU und geht in gewissen Punkten wie der Sozialhilfe und dem Bleiberecht weiter als die bilaterale Regelung im Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Schweiz. Hier muss eine klare Abgrenzung der binnenmarktrelevanten Bestimmungen von denjenigen erfolgen, die darüber hinausgehen und somit von der Schweiz nicht übernommen werden müssen.

beim Lohnschutz

Die Sozialpartner kritisieren den Schutz der Schweizer Löhne, der aus ihrer Sicht unzureichend ist. Sie wollen keine Änderung des Status quo. Es gilt, dass alle, die in der Schweiz arbeiten, gemäss Schweizer Lohn- und Arbeitsbedingungen behandelt werden. Neu würde der Lohnschutz auch dem Schiedsgericht und damit indirekt der EU-Rechtsprechung unterstellt. Das Problem könnte mit einer gemeinsamen Erklärung gelöst werden, wonach auch in der EU der Grundsatz «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» gilt. Damit das Rahmenabkommen mehrheitsfähig werden soll, hat der Bundesrat diese Einwände ernst zu nehmen.

bei den Staatlichen Beihilfen

Gemäss EU Recht gilt grundsätzlich ein Verbot bzw. die Kontrolle von vom Staat gewährten finanziellen Vorteilen wie beispielsweise Subventionen oder Steuererleichterungen. Allerdings gelten zahlreiche Ausnahmen, sodass eher von einem Kontrollsystem als von einem Verbotssystem gesprochen werden kann. Das Schweizer Wettbewerbsrecht (Kartellgesetz) kennt keine entsprechenden Beihilferegeln. Auch in diesem Punkt muss der Bundesrat darauf hinwirken, weite Freiräume bei der Beihilfepraxis auszuhandeln. Andernfalls droht das Abkommen innenpolitisch zu scheitern.

Die Schweizer Wirtschaft hat ein vitales Interesse, den bilateralen Weg mit der EU fortzuführen. Um die Gefahr einer schleichenden Erosion der bisherigen bilateralen Verträge vorzubeugen, ist der Abschluss eines Institutionellen Abkommens unabdingbar. Ein erfolgreicher Abschluss bzw. die Sicherung der Akzeptanz durch die relevanten betroffenen Kreise setzt jedoch voraus, dass die bestehenden Knackpunkte insbesondere im Bereich der Unionsbürgerrichtlinie, dem Lohnschutz sowie den staatlichen Beihilfen durch den Bundesrat gelöst werden.

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